Die kleine Gewinde(trieb)schule - Teil 1

Bei Gewinde(trieben) verhält es sich wie in anderen technischen Bereichen heutzutage: Viele Informationen, oft verstreut und selten übersichtlich zusammengefasst. Man verliert den Überblick und fühlt sich von der Masse an Daten und Fakten schnell verloren und überfordert. Auch das einseitige Verständnis spielt in der Informationsflut oft eine Rolle. Viele Menschen sehen nur das Außengewinde einer Schraube vor Augen, wenn sie das Wort Gewinde hören. Dabei besitzen Gewindetriebe weitere charakteristische Unterscheidungsmerkmale und weitaus mehr Anwendungsmöglichkeiten. Es steckt also mehr in diesem alltäglichen Gegenstand als die meisten Menschen vermuten.

Gewinde(triebe) begegnen uns weitaus öfter in unserem Alltag, ohne dass wir sie offensichtlich sehen oder wahrnehmen. Ein guter Grund dafür ist schon allein die Tatsache, dass vielen die Orte der Anwendungen nicht einmal bewusst sind. Dabei sind sie kleine Wunderwerke, die uns vieles einfacher und oft auch angenehmer machen.

Um dieser Informationsflut etwas entgegenzuwirken, möchten wir unsere Expertise nutzen, um geballtes Wissen leicht verständlich weiterzugeben. Beginnen wir hier im ersten Teil unsere Blogreihe mit einem Exkurs in die Geschichte.


Wo kommen Gewinde(triebe) eigentlich her?

Begibt man sich auf die Suche nach dem geschichtlichen Ursprung der Schraube - und somit dem Gewinde - so trifft man auf unterschiedliche Aussagen. Beim genaueren Hinschauen fällt jedoch auf, dass es im Prinzip zwei Bereiche der Entstehung gibt: Zum einen das Schraubenprinzip, welches die Schraube zum Fördern und Pressen einsetzte, zum anderen die Schraube als Verbindungselement und Befestigungsmittel. Zweiteres ist aber bei weitem noch nicht so lange im Einsatz. Wohingegen das Schraubenprinzip bereits in der Antike bekannt war. Eines der berühmtesten Beispiele hierfür ist die „Archimedische Schraube“, oder auch Schneckenpumpe bzw. -förderer genannt.

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Animiertes Funktionsprinzip der archimedischen Schraube
(Quelle: Wikipedia, Archimedes-screw_one-screw-threads_with-ball_3D-view_animated.gif created by Silberwolf)


Die Schneckenpumpe als einfache Förderanlage besteht aus einer Wendel (eine helixförmige Erhebung, welche sich um einen Zylinder windet, im Idealfall mit einer konstanten Steigung) und einem Rohr, in welchem das Wasser zwischen zwei Trögen bzw. Behältern oder auch Ebenen transportiert wird. In der Antike wurde diese Erfindung für Bewässerungs- bzw. Entwässerungszwecke genutzt, um Wasser auf ein höheres Niveau zu befördern.

Wir verdanken Archimedes (287 v. Chr. – 212 v. Chr.) daher nicht nur den bekannten Ausruf „Heureka!“, welcher das Archimedische Prinzip (das Prinzip der Verdrängung) prägte, er legte also auch den Grundstein für die heutigen Gewindetriebe und ebnete somit den Weg für viele innovative Produkte und Anwendungen.

Was viele aber nicht wissen ist, dass der Begriff bzw. die Bezeichnung „Schneckenpumpe“ eigentlich irreführend und somit nicht ganz korrekt ist. Auch wenn diese Bezeichnung in der Antike wegen der Ähnlichkeit zur spiralförmigen Seemuschel geprägt wurde, so ist es weder eine Schnecke noch eine Pumpe. Diese Erfindung ist eigentlich ein Gleichdruckhebewerk. Wer mehr zu den genaueren Vorgaben erfahren möchte, es ist nachzulesen im DIN 1184 oder bei uns in der Bibliothek des Gewinderollens 3/9.

Der deutsche Begriff Schneckenpumpe wurde von dem niederländischen Vijzelpomp abgeleitet, auch weil die Niederländer angeblich die größten Anwender dieser in den letzten 500 Jahren gewesen sein sollen. Leider kann diese These bisher noch nicht genügend belegt werden und ist darum mit Vorsicht zu genießen.

Fassen wir kurz zusammen. Die erste Erwähnung eines gewindeähnlichen Gegenstandes lässt sich bis ca. 3 Jahrhunderte vor Christus belegen, aber die Schraube ist keine Schraube, sondern war eine Art Pumpe, vielmehr ein Hebewerk. Also wie ging es jetzt weiter, bis wir zum heutigen Gewindetrieb in seiner Art und Weise kamen?

Die antike Schraube: ein Hebewerk und keine Pumpe


Wie der Name „Archimedische Schraube“ schon sagt, wird diese Erfindung dem griechischen Mathematiker und Techniker Archimedes zugeschrieben. Natürlich gibt es Forschungen und Thesen, die besagen, dass ähnliches auch schon zuvor von der Menschheit genutzt wurde. Zum Beispiel werden hier die Wasserschrauben im alten Ägypten oder aber auch Archytas von Tarent (435/410 -355/350 v. Chr.), der als Erfinder der Mechanik gilt, genannt.

Eine der ersten genaueren Angaben zum Bau einer solchen Schneckenpumpe sind in einem Werk des römischen Architekten, Ingenieur und Architekturtheoretiker Vitruv (1. Jahrhundert v. Chr.) zu finden. Um genauer zu sein im 10. Band seines Werkes „Zehn Bücher über Architektur“ (im Original „De architectura libri decem“), dem Band, der sich mit dem Thema Maschinenbau auseinandersetzt. Die dort aufgeführten Vorgaben beschreiben das genaue Verhältnis der einzelnen (Bau-)Teile, deren Zusammenbau, sowie die Handhabung, welche aber nicht so spezifisch erklärt wird. Es existieren jedoch Relikte aus dieser Zeit, welche den Antrieb durch Menschenkraft zeigen.

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Von Vitruv (The Ten Books on Architecture) beschriebene archimedische Schraube. (Quelle: Wikipedia)


Wer sich gern genauer mit dem Thema auseinander setzten und noch mehr darüber lesen möchte,
dem empfehlen wir:

1. John Gray Landels: Die Technik in der antiken Welt. Beck, München 1979, ISBN 3-8289-0362-2, Kapitel 3: Wasserpumpen (Titel der englischen Originalausgabe: Engineering in the Ancient World. Chatto & Windus, London 1978).
2. ↑ Friedrich Klemm: Geschichte der Technik. 3. Auflage. Teubner, Stuttgart, Leipzig 1998, S. 38 f.; Helmuth Schneider: Geschichte der antiken Technik. Beck, München 2007, S. 45–47.
(Quelle der Verweise Wikipedia, hier der Link zum Artikel der Archimedische Schraube.)


Betrachten wir die Archimedische Schraube genauer so fällt die gewindeähnliche Form dieser im speziellen auf. Die Form, die auch bei den heutigen Schrauben und Gewinden Verwendung findet. Ein Verbindungselement, womit sich feste aber auch wieder lösbare Befestigungen realisieren lassen. Ihren ersten nachweislichen Einsatz als dieses Befestigungselement, ist bei den Römer zu finden. Auch wenn die dortigen Einsatzgebiete der Schrauben weitaus weniger vielfältig waren als heute, so wurden sie auch schon damals in medizinischen Geräten und astronomischen Instrumenten verbaut. (Hier der Link zum Thema Kugelgewindetriebe in der Astrophysik und hier mehr zum Thema bzgl. der Anwendung von Kugelgewindetrieben im medizinischen Bereich in der heutigen Zeit.)

Von der Archimedischen Schraube zur bekannten Verbindungstechnologie

Schon recht früh erkannten die Menschen, dass sich dank dieser Verbindungstechnologie eine Umwandlung von einer Drehbewegung in einer Längsbewegung umsetzten lässt. Ein gutes Bespiel hierfür sind antike Baukräne sowie Wein- und Ölpressen, welche sich die Verstärkung der Kräfte mittels Gewinde und Mutter zu Nutzen machten.

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Detailaufnahme einer historischen Presse. (Quelle: Pixabay)

 

Mit der wachsenden Vielfalt an Anwendungsgebieten entwickelten sich auch die verwendeten Materialien und die Herstellungsverfahren bzw. die Geräte dafür weiter.
Während je nach Anwendungsgebiet Silber oder Bronze bei den Römer Verwendung fand, so wurde bei den schon erwähnten Pressen für Wein oder Öl Holz benutzt. Hervorzuheben ist hier, dass drauf geachtet werden musste, dass das Holz eine gewisse Festigkeit besitzt, umso ein Brechen während der Nutzung zu verhindern.

Leider verschwand das Gewinde als Bewegungselement während des Mittelalters weitestgehend und andere Antriebsmöglichkeiten fanden ihre Anwendung.

Und Antrieb ist ein gutes Stichwort für die nächste geschichtliche Etappe. Viele verbinden die „Renaissance“ nur mit der sich über 3 Jahrhunderte erstreckenden Kulturepoche in Europa. Aber es war auch die „Wiedergeburt“ vieler Leistungen aus der griechischen und römischen Antike und somit die Aufarbeitung vieler Erfindungen aus dieser Zeit.

Einer der bekanntesten Vertreter dieser Epoche, der in Verbindung mit der geschichtlichen Entwicklung von Gewindetriebe genannt werden muss, ist Leonardo da Vinci (1452-1519), Maler, Bildhauer, Architekt, Anatom, Naturphilosoph, Mechaniker und, nicht zu vergessen, Ingenieur. Von ihm stammt eine der ältesten bekannten Aufzeichnungen eines Werkzeuges, welches zum Schneiden eines Gewindes genutzt wurde.
Er beschäftigte sich ausgiebig mit den verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten der Gewinde. Auch entstanden zu seinen Lebzeiten viele noch heute erhaltenen Skizzen von Bewegungs- und Befestigungsschrauben.

Was vielen unbekannt in diesem Zusammenhang ist, auch im deutschsprachigen Raum setzte man sich ausführlich mit der Verwendung der Schraube auseinander.

Der deutsche Arzt, Apotheker und Wissenschaftler Georgius Agricola oder auch aus dem lateinischen übersetzt Georg Bauer (1494 -1555), gilt als einer der herausragendsten Renaissance-Gelehrten seiner Zeit. Sein Schaffen und seine Expertise erstreckten sich auf viele Gebiete im Bereich der Natur- und Geisteswissenschaften. Was ihn aber für uns so interessant macht, sind seine Texte und Abbildungen von Gewinden und Schraubsystemen, welche mit einer so einer großen Detailgenauigkeit erstellt wurden, dass sie sogar für Nachbauten geeignet waren.

Der lange Weg zum ISO-Gewinde


Mit der beginnenden industriellen Revolution, beginnt auch die maschinelle Herstellung von Schrauben und Muttern. Was vorher in mühsamer Handarbeit produziert werden musste, konnte nun effizienter, schneller und auch preiswerter in Schraubenfabriken hergestellt werden. Dies war der Grundstein für die weitere Verbreitung, da nun auch der stetig steigende Bedarf besser gedeckt werden konnte.

Was hier interessant zu erwähnen ist: es existierten bereits im Jahre 1568 Gewindescheidelehren oder -platten, verbaut in Drehbänken, zur Herstellung von Muttern und Schrauben in Frankreich (gebaut von Besson), aber erst 100 Jahre später wurden sie durch das englische Unternehmen Hindley of York verbessert und angepasst.

1760 führten die Brüder Job (John, je nach Quelle) und William Wyatt einen Fabrikationsprozess bzw. eine Maschine für die Massenproduktion von Schraubgewinde ein. Was für Holschrauben gedacht war, wurde so auf Schrauben aus Eisen angewendet. Leider waren die beiden trotz ihres Patents nicht erfolgreich und mussten Ihr Unternehmen nach nur ein paar Jahren wieder schließen. Dennoch erschufen sie einen Meilenstein in der Geschichte der Herstellung von Schrauben und somit von Gewinden.

Mit der Entwicklung von Maschinen, die die Prozesse verbesserten und beschleunigten fand die Verwendung neuer Materialien statt. Einher ging auch die Erfindung von Werkstoffprüfmaschinen während dieser Zeit, wodurch nun höherwertige Materialien für die Produktion verwendet werden konnten.

Dadurch, das in jedem Land und jeder Fabrik anders produziert wurde, existierten auch Unterschiede in Größe, Material und Eigenschaften. Es wurde notwendig, dass man einheitliche Qualitätsmerkmale und auch Gewindemaße einführte.

Bereits 1841 setzte sich der Engländer Joseph Whithworth für eine Standardisierung aller Schraubgewinde in England ein, welche sich aber noch nicht europaweit durchsetzte. Die Entwicklung von Richtlinien in Deutschland übernahm der VDI (Verein Deutscher Ingenieure) im Jahre 1859. Diese definierten Bestimmungen für die Qualität, den Werkstoff, ein einheitliches Gewindemaß und deren Eigenschaften.
Erst 1948 fand eine Einigung zwischen Großbritannien, den USA und Kanada in Bezug auf die Verwendung von imperialen Maßeinheiten bei Schrauben statt. 1964 erfolgte dann eine weltweite Normung des ISO-Gewindes.

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Neu hergestellte große Schrauben. Nahaufnahme.
(Quelle Adobe Stock)

Das Ende einer langen Reise

Es liegt ein langer und eindrucksvoller Weg hinter diesen, für viele trivialen, Gegenstandes, dennoch entwickeln sich die Technologie und die Einsatzgebiete ständig weiter.

Auch wir bei Eichenberger entwickeln uns immer weiter, denn für unsere Kunden fordern wir die Grenzen des technisch Machbaren heraus. Ganz gleich, ob der Bauraum optimiert, die Dynamik erhöht, die Energieeffizienz gesteigert, das Gewicht reduziert, die Lebensdauer gesteigert oder die Kosten gesenkt werden sollen, wir entwickeln mit Ihnen die passende Gewindetrieb-Lösung, um Ihre Innovation am Markt ganz nach vorne zu bringen.

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Ausblick auf Teil 2 unserer kleinen Gewinde(trieb)schule
– Wie geht es weiter?

Nun konnten Sie so einiges über die Entstehung der Schraube und somit auch des Gewindes erfahren. Aber das Thema Gewinde bietet noch mehr interessante Facetten und Wissenswertes. Erfahren Sie mehr wissenswertes zum Gewinderollen hier. Und lernen Sie die Grundlagen, Verfahren, Werkzeuge, Anwendungen von gerollten Hightech-Gewinden genauer kennen.

Im nächsten Teil widmen wir uns der Frage was ist ein Gewindetrieb, was macht ihn aus und welche Formen existieren.

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